Donnerstag, 14. März 2013

Wer traut sich?

Manche Bücher, die liest man, legt sie zur Seite und hat sie im nächsten Moment schon fast wieder vergessen. Dann gibt es Bücher, die packen einen, ziehen einen in ihren so sehr in den Bann, dass man sie gar nicht erst zur Seite legen möchte, aber irgendwie im Zwiespalt ist, weil man ja auch nicht zu schnell lesen möchte, damit das Buch nie enden mag. 
Und manche Bücher fordern einen. Man ekelt sich. Man fürchtet sich. Und trotzdem muss man es weiter lesen. So ging es mir bei diesem Buch. Tiere Essen. Von Jonathan Safran Foer. Ich rettete mich von Seite zu Seite, mit der leisen Hoffnung, dass da nur das schreckliche Abbild der amerikanischen Tierhaltung und -Schlachtung dargestellt wird und dass die deutsche Variante sich deutlich unterscheidet - schließlich sind wir Deutschen ja Stolz darauf, mehr auf Bio zu achten und weniger Fast Food zu uns zu nehmen... Immer wieder fragte ich mich, warum wir Menschen (primär natürlich die bösen, amerikanischen Viehzüchter) zu so etwas fähig sind. Und immer wieder dachte ich, dass man dieses Buch jedem Schüler in jeder Schule in die Hand drücken sollte. Aufklärung. Das fehlt. Aber dieses Buch liefert sie. Nur müssen wir uns trauen, sich ihr zu öffnen. 


Jonathan Safran Foer, ein Amerikaner, entschließt sich, sich mit seiner Ernährung auseinander zu setzen als er erfährt, dass er Vater wird. Drei Jahre recherchiert er, trifft sich mit Viehzüchtern, Tierrechtlern, Schlachtbetriebmitarbeitern, besucht Tierzuchten, Mastbetriebe, Schlachthäuser und hinterfragt jede einzelne Geschichte.

Ich las das Buch auf meiner täglichen Fahrt in der U-Bahn. An manchen Tagen war ich im Anschluss furchtbar traurig. An manchen wurde mit regelrecht schlecht - vor allem als ich über die zahlreichen Krankheiten, Bakterien und Keime, die in der Massenzucht zur Normalität gehören und mit tonnenweise Antibiotika bekämpft werden oder über die unvorstellbaren Mengen an Gülle, die in Mastbetrieben produziert werden, las.
Aber an jedem Tag hätte ich den Passagieren neben mir gern erzählt, was ich da gerade Verstörendes oder Berührendes las. Ich hätte gern die Frau neben mir gefragt, ob sie der Meinung ist, dass unsere Essgewohnheiten es rechtfertigen, dass andere Lebewesen so verstümmelt und gequält werden? Den Mann gegenüber wollte ich fragen, ob er wusste, dass Tiere in Schlachthäusern bei vollem Bewusstsein ausbluten, enthäutet und zerteilt werden? Und den Mann mit dem Dackel hätte ich fragen wollen, warum er seinen Dackel streichelt, aber das Fleisch eines anderen Tieres isst?

"Dass Menschen Tiere essen, ist eine natürliche Folge der Evolution" argumentierte vor ein paar Monaten noch mein Cousin.

Also warum mache ich es nicht und möchte trotzdem all diese unbequemen Fragen stellen?


Wir alle wissen doch eigentlich, dass Tiere viel zu jung geschlachtet werden. Dass sie zu abnormalen Kreaturen gezüchtet sind, dass ihnen jegliche Lebensqualität fehlt. Dass Masttiere mit Antibiotika vollgestopft werden.


"...man muss sich mit dem Problem auseinandersetzen." Genau das tat auch eine liebe Freundin von mir aus Berlin - ich erfuhr durch Zufall, dass sie zur gleichen Zeit wie ich "Tiere essen" las. Und stellte ihr ein paar Fragen:

Liebe Katha,
der Autor von "Tiere essen" entschied sich im Zuge seiner Recherchen dazu, fortan auf Fleisch und Fisch zu verzichten - du hast beim Lesen die gleiche Entscheidung getroffen. Wie kam es überhaupt dazu, dass du dieses Buch zur Hand genommen hast?
Ich habe vor ungefähr zwei Jahren einen Artikel geschrieben, der sich mit Fleischessen auseinandergesetzt hat. Bei meinen Recherchen bin ich auf das Buch „Tiere essen“ gestoßen, das zu der Zeit gerade in Deutschland veröffentlich wurde. Ich hab immer gedacht, dass ich das Buch irgendwann einmal lesen muss, weil die Resonanz in den Medien so groß war. Und als ich gesehen hab, dass es das Buch als Taschenbuch gibt, hab ich es mir endlich mal gekauft.
War es das erste Buch dieser Art?
Ja! Das Allererste! 
Was hat dich darin am meisten bewegt/verärgert/schockiert/überrascht?
Überrascht hat mich, wie sehr Jonathan Safran Foer die Emotionen einbezogen hat; dass er versteht, wie sehr Gefühle und Fleischessen miteinander zusammenhängen. Ich konnte das Ohnmachtsgefühl so gut nachvollziehen, das entsteht, wenn man mit aller Aufklärung vielleicht die Vernunft der Menschen erreicht, aber nicht ihre Gefühle. Denn diese wiegen oft viel schwerer als unsere Vernunft. Schockiert hat mich alles, was mit dem Schlachten der Tiere zu tun hatte. Egal wie glücklich die Tiere auch gewesen sein mögen, am Ende landen sie beim Schlachter. Das kann ich nicht vergessen: das bis zu 20 Prozent der Kühe bei vollem Bewusstsein geschlachtet werden! Das Schlachten bringt so viel Leid, nicht nur für die Tiere, auch für die Menschen. Schön fand ich den Gedanken von Foer, dass wir neue Geschichten erzählen können, vielleicht von dem ersten Weihnachtsfest, an dem kein Truthahn mehr auf dem Tisch steht.
Stimmt, gerade Weihnachten ist ja hier in Deutschland ein wichtiges, traditionsreiches Fest der Familie, des Zusammenkommens - und des Essens... Was hast du beim Lesen des Buches gedacht?
Ich habe mich oft ertappt gefühlt. Der Autor gibt dir kurz das Gefühl, dass es gar nicht so schlimm ist, ab und zu mal Fleisch zu essen. Und dann wurde ich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich hatte zum Beispiel gehofft, dass das Biosiegel mehr bedeutet. Und ich habe viel darüber nachgedacht, wie sehr das Leben von dem Ort abhängt, an dem wir geboren werden – egal, ob Mensch oder Tier.
Konntest du alles im Buch lesen oder musstest du Teile überspringen?
Ja, ich habe alles gelesen. Auch wenn ich manchmal eine Pause einlegen musste. Aber darum ging es mir ja: endlich nicht mehr einfach so verdrängen, was in der Massentierhaltung passiert.
Was hat sich in deinem Leben durch das Buch verändert?
Seit dem ich das Buch begonnen habe, habe ich kein Fleisch und kein Fisch mehr gegessen. Ich möchte mich gar nicht als Vegetarier bezeichnen, weil ich einfach nicht sagen kann, ob ich nicht doch irgendwann einmal wieder ein Steak vor mir liegen hab. Aber hier und jetzt esse ich kein Fleisch mehr – und das immerhin seit anderthalb Monaten.
Das ist eine konsequente Entscheidung! Und ich freue mich, dass es dir mit der Entscheidung momentan sichtbar gut geht! Wie hat dein Umfeld - dein Freund, deine Familie auf deine Entscheidung reagiert?
Bis jetzt ganz entspannt. Nur mein Brüderchen war sofort darauf bedacht, dass ich jetzt statt Sonnenblumenöl Rapsöl verwende und auch genügend Walnüsse esse. Er macht gerade eine Ausbildung zum Fitness- und Gesundheitstrainer und ist wohl um meine Omega-3-Versorgung besorgt! :-)
Willst du das Buch eigentlich jemandem weiterempfehlen? Warum?
Ja, obwohl ich nicht „weiterempfehlen“ sagen würde. Ich hatte kurz nach dem Lesen eher das Bedürfnis, das Buch allen meinen Freunden aufzuzwingen. Jeder sollte es lesen. Danach kann man erst sagen, ob man wirklich Fleisch (aus der Massentierhaltung) essen will.Der Autor von "Tiere essen" entschied sich im Zuge seiner Recherchen dazu, fortan auf Fleisch und Fisch zu verzichten – du hast beim Lesen die gleiche Entscheidung getroffen. Wie kam es dazu? Ich denke, aus diesem Buch kann man keine andere Konsequenz ziehen, oder?
Da hast du vollkommen Recht. Vielen Dank für deine ehrlichen Antworten!

Ich bin gespannt, wer sich jetzt (noch) traut, das Buch zu lesen... ich würde mich jedenfalls freuen, wenn ich jemanden neugierig gemacht habe und verleihe auch gern mein Exemplar!

Und wer noch ein Argument benötigt, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen oder dieses Buch zur Hand zu nehmen, ist dieses Video "Meet your Meet" - eine Dokumentation über die moderne Massentierhaltung von PETA:

5 Kommentare:

  1. Ich habe das Buch auch gelesen. Ich bin am Land (und auf dem Bauernhof) aufgewachsen, deshalb fand ich das Buch jetzt nicht so schokierend, wie manch andere. Weil ich das alles einfach kenne. Das hat mich auch dazu bewogen, vor gut 15 Jahren Vegetarierin zu werden.

    Besser als "Tiere essen" fand ich aber "Anständig essen" von Karen Duve. Es bezieht sich einfach mehr auf Deutschland.

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  2. Ich lese es gerade :-)

    Und eigentlich bin ich ein wirklich schneller Leser. Wenn mich ein Buch packt dann lese ich es an einem Tag durch. Dieses kann ich nicht in einem Zug durchlesen und das nicht weil es schlecht ist sondern weil mir schlecht wird. Ich muss das gelesene Stück für Stück verarbeiten. Wirklich schlimm und schonungslos. Finde auch, dass das Buch ne gute Schullektüre wäre...

    lg

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  3. Ein tolles und aufrüttelndes Buch. Bei mir hat "Anständig essen" von Karen Duve dazu geführt umzudenken und mein Essverhalten zu verändern. Die meisten Menschen möchten aber gar nichts verändern und sich schon gar nicht damit auseinander setzen. Für sie ist vegane Ernährung nur "so eine Mode" und Veganer sind Menschen, die keinen Spaß haben und schwierige Gäste sind. Deshalb finde ich unsere Blogs so wichtig (und auch der Vegane Wednesday) um zu zeigen, das es auch anders geht.
    Liebe Grüße von Billa

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  4. Ich habe schon überlegt, das (Taschen-)Buch an Weihnachten oder an Geburtstagen zu verschenken. Aber ganz ehrlich: Das Buch fliegt in die nächste Ecke, weil sich viele gar nicht damit auseinander setzen wollen.

    Finde ich sehr sehr schade.

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  5. Ich finde es toll, dass es euch auch allen so mit dem Buch ergangen ist! Momentan höre ich auch schon das Hörbuch von "Anständig Essen" - finde es auch sehr gut bisher - "Alltagssprache" und immer wieder harte Fakten untergemischt.
    Leider befürchte ich wohl auch, dass Bengelchen mit der Vermutung recht haben mag, dass "Tiere essen" als Geschenk in der Ecke landen wird... :( Aber ich werde es mal versuchen!

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